Stock-to-Flow-Verhältnis

In Zeiten von Fiatgeld ist die Volatilität aller möglichen Assets besonders hoch. Neugeschöpfte Fiat-Liquidität drängt nach allen Seiten hin in die Vermögenswerte. Das Auf und Ab der Kurse führt aufseiten der Markteilnehmer zu einem stärkeren Verlangen nach “fairer” Bewertung. Bewertungsmodelle sind demnach hoch im Kurs.

Für Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen existieren konventionelle Bewertungsraster, die in der Finanzwelt allgemein anerkannt sind. Wie aussagekräftig diese allerdings heute ob der Fiatgeld-Flut noch sind, ist an anderer Stelle zu beantworten. Über die korrekte Bewertung von Gold und jüngst auch Bitcoin scheiden sich die Geister. So werfen beide Assets weder einen Zins ab noch generieren sie einen Cashflow, was eine modellhafte, quantitative Bewertung erschwert.

Bewertungsmodell gesucht

Um nicht vollends im Dunkeln zu tappen, stützen sich Finanzanalysten in ihrer Bewertung dieser Assets häufig auf Angebot und Nachfrage derselben. Dabei werden Angebots- und Nachfrageveränderungen betrachtet und Rückschlüsse auf den aktuellen Preis gezogen. Die Goldnachfrage wird dabei meistens in Relation zur jährlichen Neufördermenge von Gold, der Goldproduktion also, gesetzt.

Während sich die richtige Bestimmung der Goldnachfrage aufgrund deren subjektiven Komponenten äusserst schwierig gestaltet, ist auch der Fokus auf die jährliche Goldangebotsausweitung unzureichend. Ganz im Gegenteil zu anderen Konsum- und Produktionsgütern wird das gelbe Edelmetall niemals verbraucht oder konsumiert. Alle jemals auf dieser Erde zutage geförderten Goldbestände existieren noch immer in der einen oder anderen Form und stellen daher potenzielles Angebot dar. Genauso ist jeder auf diesem Planeten lebende Mensch ein potenzieller Nachfrager nach Gold.

Was bemisst das Stock-to-Flow-Verhältnis?

Gold ist somit entgegen allgemeiner Meinung in reichlichen Mengen vorhanden, weil das Edelmetall nahezu unzerstörbar ist. Folglich hat die jährliche Neufördermenge (flow) kaum einen Einfluss auf das existierende Goldangebot. Im Verhältnis ist letzteres so viel höher als ersteres. Es ist dieses Verhältnis, das durch die Stock-to-Flow-Ratio beschrieben ist.

Mit diesem Richtwert kann somit erfasst werden, in welchem Verhältnis das existierende Angebot eines beliebigen Rohstoffes zu dessen jährlicher Neuschöpfung oder -förderung steht. Gegenüber anderen Edelmetallen wie Platin oder Silber besitzt Gold ein viel höheres Stock-to-Flow-Verhältnis. Bei Platin liegt das Verhältnis gerade einmal bei ungefähr 1. Für Silber ist ein Verhältnis von 22 dokumentiert. Mit einer Stock-to-Flow-Ratio von über 70 verzeichnet Gold ein Vielfaches der anderen Rohstoffe. Während es also nur ungefähr ein Jahr dauert, bis mit der aktuellen Platinproduktion der gegenwärtige Bestand verdoppelt worden ist, dauert es bei Silber 22 Jahre und bei Gold sogar über 70 Jahre.

Bei der Betrachtung des Angebotsparameters muss somit stets zwischen einem gehorteten Bestand (stock) und einem umlaufenden Bestand (flow) unterschieden werden. Das hohe Stock-to-Flow-Verhältnis von Gold signalisiert, dass das Edelmetall über grosse Horte verfügen muss. Der gehortete Bestand übertrifft den umlaufenden Bestand um ein Vielfaches.

Geld: das absatzfähigste Gut

Warum aber verfügt Gold heute über die höchste Stock-to-Flow-Ration unter den Edelmetallen? Oder anders gefragt: Weshalb wird Gold seit jeher gehortet? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns der Geldtheorie widmen.

Geld wird von unterschiedlichen Personen unterschiedlich definiert. Die aus unserer Sicht einleuchtendste Definition ist: Geld ist das absatzfähigste Gut und verfügt daher über die höchste indirekte Tauschbarkeit. Die hohe Absatzfähigkeit kommt daher, dass Geld gewisse objektive Eigenschaften zur effektiven Tauschbarkeit über Zeit und Distanz bestens erfüllt. Die wichtigsten davon sind: Teilbarkeit, Einheitlichkeit, Haltbarkeit, Transportierbarkeit und Knappheit.

Ökonomisch formuliert verfügt Geld über den am geringsten fallenden Grenznutzen. Geld unterscheidet sich somit in dieser einen Hinsicht diametral von anderen Gütern. Deren Grenznutzen nimmt ab, bis man als Nachfrager irgendwann genug von einem entsprechenden Gut hat. Sogar eine zusätzliche Einheit Wasser in der Wüste wird ab einem gewissen Zeitpunkt nichts mehr wert sein, wenn man dieses zusätzliche Wasser nicht mehr trinken, lagern oder transportieren kann.

Bei Geld ist das in der Regel anders. Man wird sich immer über eine zusätzliche Einheit Geld freuen. Dies deshalb, da Geld das absatzfähigste Gut darstellt und daher als universelles, indirektes Tauschmittel stets gegen alle beliebigen anderen Gütern eingetauscht werden kann.

Je absatzfähiger und damit tauschbarer ein Gut, desto eher ergibt es Sinn, dieses Gut zu halten. Das Aufbewahren und Horten dieses Gutes erhält damit einen quasi-objektiven Wert, der Wert ständiger Verfügbarkeit im Tausch gegen andere Güter. Je absatzfähiger eine Sache, desto geringer sind auch die Abschläge beim Tausch.

Geld ist per Definition somit der hortbarste Rohstoff. Das Gold sich als hortbarer Rohstoff erwiesen hat und dessen Hortung über Jahrtausende zur heute hohen Stock-to-Flow-Ratio geführt hat, zeigt: Gold muss die objektiven Eigenschaften von Geld gut erfüllt haben, weshalb das gelbe Edelmetall zu einem sehr absatzfähigen Gut geworden ist. In diesem Sinn lässt sich an dieser Stelle sagen, dass ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für Geld ist.

Steigende Kosten in der Produktion

Die hohe Hortbarkeit von Gold drückt sich also über deren hohes Stock-to-Flow-Verhältnis aus. Und dieses kann nicht ohne weiteres verwässert werden. Gemeinhin wird das auf die natürliche Knappheit von Gold zurückgeführt. Doch liegt hier ein Widerspruch vor? Immerhin war weiter oben die Rede davon, dass Gold in reichlichen Mengen vorhanden sei.

Das Paradoxon lässt sich wie folgt auflösen: Gold kann nicht konsumiert werden. Jeglicher Bestand, der einmal gefördert worden ist, existiert in der einen oder anderen Weise und dient daher als potenzielles Angebot, das auf den Markt kommen kann. Gleichzeitig ist die Neuproduktion, also die Angebotsausweitung von Gold ein kostspieliger Prozess. Gold ist also nicht extrem knapp, sondern gerade so in der Erdkruste verteilt, dass der Förderungsaufwand exponentiell mit der zu fördernden Menge steigt: Weitere Goldvorkommnisse finden sich immer tiefer in den Erdschichten und müssen daher unter immer höherem Aufwand gefördert werden..

Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich das gelbe Edelmetall also ökonomisch von vielen anderen Gütern. Gold zeigt steigende Grenzkosten in der Produktion. Mit jeder zusätzlichen Einheit Gold, die neu gefördert werden soll, steigen die Produktionskosten. Gold steht somit im Gegensatz zu den meisten anderen Gütern, die aufgrund Skaleneffekten in der Produktion günstiger werden, je mehr diese Güter nachgefragt werden. Mit grösserer Produktionsmenge fällt der Stückpreis geringer aus.

Die steigenden Grenzkosten in der Produktion machen es schwierig bis unmöglich, dass der Neubestand (flow) in kurzer Zeit signifikant ausgeweitet werden kann, auch wenn die Nachfrage nach Gold hoch ist. Wenn dann lassen die steigenden marginalen Produktionskosten eine Neuförderung nur gerade so lukrativ sein, wie das eine Zusatznachfrage und Preissteigerung von Gold möglich macht. Es sind die steigenden Grenzkosten, welche bis auf Weiteres sicherstellen dürften, dass die Stock-to-Flow-Ratio von Gold auch in absehbarer Zukunft hoch bleiben dürfte.

Gold versus Bitcoin

Mit dem Kryptoasset Bitcoin, das oftmals als synthetisches oder digitales Gold beschrieben wird, existiert heute ein neues Asset, das ebenfalls über ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis verfügt. Aktuell verfügt Bitcoin über eine Stock-to-Flow-Ratio von ungefähr 56. Da Bitcoin sogenannte Halvings vollzieht, bei dem sich die durchschnittlich alle zehn Minuten neugeschöpfte Menge an Bitcoins um die Hälfte reduziert, wird das Kryptoasset im Jahr 2026 über ein Stock-to-Flow-Verhältnis von 121 verfügen.

Unter Bitcoinern gilt die Stock-to-Flow-Ratio auch als Härte-Indikator für Geld. Je höher das Stock-to-Flow-Verhältnis eines Assets, desto härter ist dieses. Die Härte soll dabei als Kennziffer für den Grad monetärer Verwässerung dienen. Umso härter ein Assets, desto weniger stark wird dasselbe verwässert, spricht inflationiert.

Ist Bitcoin aufgrund einer dereinst höheren Stock-to-Flow-Ratio gar das bessere Geld als Gold? Wie weiter oben erwähnt, ist ein hohes Stock-to-Flow-Verhältnis eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung. Man könnte argumentieren, dass Gold gerade deshalb Geld ist, weil es eine hohe Stock-to-Flow-Ratio hat, gleichzeitig aber auch eine stabile Angebotskurve zeigt. Bei Bitcoin hingegen nimmt das Stock-to-Flow-Verhältnis aufgrund der Halvings seit der Erschaffung des Kryptoassets alle vier Jahre sprunghaft zu. Bitcoin hat somit zwar eine immer höhere Stock-to-Flow-Ratio, ist gerade deshalb aber nicht stabil.

Für Geld, so dieses Argument, braucht es beides: einen hohen Stock und einen stetigen, stabilen Flow. Ist eines der beiden nicht gegeben, ist (hohe) Volatilität die logische Konsequenz, wodurch aber letztlich auch der Geldcharakter abnimmt.

Ein fundierter Bitcoin-Befürworters dürfte dieser Argumentation folgendes erwidern: Bitcoin ist eben Proto-Geld, ein Geld, das gerade im Entstehen begriffen ist. So wird es bei Bitcoin noch einige Jahre und damit Halvings dauern, bis die Monetarisierungsphase von Bitcoin gewissermassen abgeschlossen ist. Mit jedem weiteren Halving nimmt die Angebotshalbierung sodann in ihrer absoluten Bedeutung ab, bis eine Stabilität beim Flow im Grunde erreicht ist. Dies setzt natürlich voraus, dass Bitcoin auch nach ein paar weiteren Halvings immer noch funktional ist.

Zusammenfassung